Migration nach dem Nationalsozialismus

„Die griechische Arbeitsmigration nach Deutschland war auch eine Folge der ‚verbrannten Erde‘, die die deutschen Besatzer hinterließen“, schreibt Manuel Gogos 2005 in einem Aufsatz über die Vorgeschichte der Arbeitsmigration von Griech*innen nach Deutschland. 

Zum einen lebten viele Griech*innen in den 1950er Jahren in Armut. Es gab zu wenig Arbeitsmöglichkeiten in dem von Besatzung und Bürgerkrieg gezeichneten Land. Laut Georg Matzouranis hatten „weniger als die Hälfte die schulische Grundausbildung abgeschlossen“ und hegten viele die „geheime Hoffnung, dass sie in Deutschland ihre Probleme lösen würden.“

Zum anderen wurde auf politischer Ebene mit der Vergangenheit in Bezug auf die Besatzung argumentiert. Anfangs war es nur Griechenland, das auf ein Anwerbeabkommen drängte. Deutschland lehnte ein Anwerbeabkommen mit Griechenland zunächst ab, da noch kein Vermittlungsapparat aufgebaut war. Um ihr Ziel zu erreichen, argumentierte die griechische Regierung mit den Folgen der Besatzung und des anschließenden Bürgerkriegs, die sich negativ auf die griechische Wirtschaft ausgewirkt hatten. Auch appellierte die griechische Regierung an die historische Verantwortung der Deutschen. 

Nachdem die Anwerbeabkommen mit Italien und Spanien geschlossen worden waren, entschied sich die bundesdeutsche Regierung schließlich doch für ein Anwerbeabkommen. Von deutscher Seite erhoffte man sich in Griechenland laut Gogos einen “politischen Effekt” davon, Arbeiter*innen insbesondere aus Orten anzuwerben, die unter der Besatzung stark gelitten hatten. Die Geschichte der Besatzung war den deutschen Behörden also offensichtlich bewusst und beeinflusste die Arbeits- und Außenpolitik.

Die Migrationspolitik im Rahmen von Anwerbeabkommen wird meist als neuartiges Phänomen in der deutschen Geschichte betrachtet – sowohl im öffentlichen Bewusstsein als auch in der Migrationsforschung. Wirft man einen Blick zurück, lässt sich jedoch feststellen, dass Vorläufer einer solchen Politik schon im Nationalsozialismus zu erkennen sind. 

Darüber hinaus lassen sich in einigen Aspekten Ähnlichkeiten und Kontinuitäten in der Behandlung von Zwangsarbeiter*innen und Arbeitsmigrant*innen erkennen. Auch wenn das System der Nachkriegsarbeitsmigration nicht mit der vernichtenden Zwangsarbeit im Nationalsozialismus gleichzusetzen ist, lassen sich rassistische Strukturen in beiden Arbeitsregimen feststellen. Im NS wurden Zwangsarbeiter*innen klar in eine rassistische Hierarchie eingeteilt. Osteuropäer*innen wurden schlechter behandelt als Westeuropäer*innen; am stärksten waren jüdische Zwangsarbeiter*innen von der Diskriminierung betroffen.

Die Nachkriegsarbeitsmigration war von der Prämisse geprägt, dass keine Ausländer*innen nach Deutschland einwandern sollten. Bemerkenswert ist, dass die Aufenthaltsvergabe von 1951 bis 1965 auf Grundlage der Ausländerpolizeiverordnung erfolgte – eine Verordnung, die während des NS 1938 eingeführt worden war. 1965 wurde das „Ausländergesetz“ eingeführt, in dem festgelegt wurde, dass Arbeitsmigrant*innen nur vorübergehend in Deutschland arbeiten sollten. Die Teilhabe von Arbeitsmigrant*innen an der deutschen Gesellschaft oder das Zugeständnis politischer und gesellschaftlicher Rechte spielte kaum eine Rolle.

Zudem fand auch hier in Bezug auf die Arbeit eine Hierarchisierung zwischen deutschen und ausländischen Arbeitskräften statt: Arbeitsmigrant*innen leisteten Arbeit unter wesentlich schlechteren arbeitsrechtlichen und sozialen Bedingungen als deutsche Arbeiter*innen. 

Im Interview berichtet die Historikerin Dr. habil. Maria Alexopoulou von ihren Recherchen und ihrem Wissen über Bezüge zwischen NS-Zwangsarbeit und Arbeitsmigration in die Bundesrepublik Deutschland in der Nachkriegszeit. Maria Alexopoulous Forschungsschwerpunkt liegt auf der Migrations- und Rassismusgeschichte. Sie ist Projektleiterin am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt des Zentrums für Antisemitismusforschung (TU Berlin).

Georg Matzouranis‘ Buch „Man nennt uns Gastarbeiter“  von 1985 ist im Rahmen einer Studie über die Migration von Griech*innen nach Westdeutschland entstanden. Es enthält Stimmen griechischer Migrant*innen in Deutschland, die in den Jahren 1966–67 und 1969–74 durch Interviews gesammelt wurden.

In den semi-anonymisierten Interviews kommen in hohem Maße die oft unwürdigen, beengten und ausbeuterischen Lebens- und Arbeitsbedingungen, Wahrnehmung von Ausschluss und Ignoranz durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft sowie Sorgen um die eigene Familie zum Ausdruck. 

Auch Matzouranis geht nicht dezidiert auf die Besatzung ein oder untersucht Zusammenhänge zwischen Besatzung und Arbeitsmigration. Dennoch finden sich in den Aufzeichnungen immer wieder Hinweise auf den Nationalsozialismus oder Besatzungserfahrungen der Interviewten. Der Band ist somit ein Beispiel für die Spuren der Bezüge, die sich immer wieder punktuell finden lassen.

  • Artemis über den Prozess der Anwerbung und Ausreise: „Dann waren die Ärzte an der Reihe. Dort sah ich zum ersten Mal deutsche Bürger, denn ich kann mich als kleiner Junge nur an Soldaten erinnern.“  (S. 15)
  • G.N. über die Arbeit an Maschinen: „Dabei hätten wir etwas kaputt machen können und es dann bezahlen müssen oder wir hätten dabei eine Hand verlieren können und wären Krüppel geblieben wie mein Vetter Stelios, der im Krieg gegen die Deutschen seine Hand verlor.“ (S. 22)
  • Virg. über das Verhalten eines Deutschen bei einem vermeintlichen Diebstahl: „Genau dort kam einer, hielt mich, zog mich, er hielt mich ganz fest am Oberarm und sprach ruppig wie die Deutschen in der Besatzungszeit. Ich war damals ein Kind, aber ich kann mich erinnern. […] Und dieser Deutsche war ruppig wie während der Besatzung.“ (S. 42)
  • Maria über die Organisation eines Streiks aufgrund der schlechten Lebensbedingungen im Heim: „Hier leben wir doch ganz gottverlassen. Alle zusammen in einem Heim, wie in einem Konzentrationslager, eine Stunde von der Fabrik entfernt.“ (S. 74)
  • Chr. über das Verhalten von Deutschen gegenüber Griech*innen: „Besonders uns Griechen mögen die Deutschen nicht. Sie sagen: ‚Alle Griechen Partisanen, nix gut.‘ Sie vergessen die Zeit von damals nicht.“ (S. 103)

Kontinuitäten zwischen Migration vor und nach 1945 sind nicht nur unter dem Aspekt der Nachkriegsarbeitsmigration bzw. der gezielten Anwerbung zu sehen. Eine weitere Gruppe in diesem Themenkomplex bilden Displaced Persons (DPs), die nach dem Krieg in Deutschland blieben. Als DPs wurden von den Alliierten Menschen bezeichnet, die während des NS als „Fremd“-, Zwangsarbeiter oder als KZ-Häftlinge nach Deutschland gekommen bzw. verschleppt worden waren und sich bei Kriegsende noch in Deutschland aufhielten.

Die DPs unterstanden dem Schutz der Alliierten und wurden von der deutschen Bevölkerung weitgehend getrennt gehalten. Ein Verbleib der DPs in Deutschland war politisch nicht gewollt; letztlich war eine Rückführung in ihre Herkunftsländer das Ziel. Dennoch blieben einige von ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Auch hierfür sind die Gründe vielfältig und bewegen sich in einem Spektrum zwischen Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit, Zufällen und veränderten Lebensplänen.

Häufig war die politisch unsichere oder gar gefährliche Lage in den Herkunftsländern ausschlaggebend. DPs aus der Sowjetunion beispielsweise riskierten, bei ihrer Rückkehr als Kollaborateur*innen der Nazis stigmatisiert und verfolgt zu werden. In Bezug auf Griechenland spielte der griechische Bürgerkrieg, der sich unmittelbar an den Zweiten Weltkrieg anschloss, eine wesentliche Rolle. Männer, die nach Griechenland zurückkehrten, riskierten, in die Armee eingezogen zu werden und womöglich einem Krieg zum Opfer zu fallen, nachdem sie einen anderen gerade erst überlebt hatten. Davon abgesehen ist davon auszugehen, dass eine Rückkehr in ein Land unter instabilen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen kaum attraktiv erschien.

Meist war es nicht die Intention von überlebenden DPs, dauerhaft im Täterland Deutschland zu bleiben. Viele hofften auf ein Visum, um etwa in die USA oder Kanada auswandern zu können. Seit 1950 waren DPs, die sich im bundesdeutschen Gebiet aufhielten, den deutschen Behörden als „heimatlose Ausländer“ unterstellt. Ihr Status sah einen Schutz gegenüber Ausweisung vor und umfasste eine teilweise Gleichstellung gegenüber deutschen Staatsangehörigen in bestimmten Bereichen, jedoch keine komplette Gleichberechtigung.

Die Niederlassung ehemaliger DPs ab den 1950er Jahren überlagerte sich mit dem Beginn der Einwanderung von Arbeitsmigrant*innen, die oftmals im Rahmen bilateraler Anwerbeabkommen in die BRD kamen. Punktuell entstanden soziale Vernetzungen und Kontakte, die einigen Zeitzeug*innen zufolge die „neuen“ Migrant*innen unterstützten.

Die Schriftstellerin Eleni Delidimitriou Tsakmaki (geboren 1938 in Zagliveri bei Thessaloniki) kam 1961 als Arbeitsmigrantin nach Deutschland. Nach ihrer Berufstätigkeit begann sie das Thema Migration literarisch zu verarbeiten – in Autobiografien und Erzählungen sowie dokumentarischen Werken. Anfang der 2000er Jahre führte sie, angeregt durch einen Zeitungsartikel, Interviews mit griechischen Überlebenden deutscher Konzentrationslager. Die Zeugnisse sind in dem Buch „Letzte Station. Griechische Gefangene in deutschen Konzentrationslagern“ (2024) versammelt. 

Auch in diesem Band werden die Bezüge zwischen Besatzung und Arbeitsmigration nicht konkret in den Blick genommen. Bei der Buchvorstellung in München am 27. November 2024 erwähnte Eleni Tsakmaki ihre eigenen Erinnerungen an die deutsche Besatzung in Griechenland, von denen sie auch in ihrem autobiografischen Buch „Die Stoffpuppe“ schreibt: In ihrer Kindheit hatten sich im Nachbarhaus deutsche Soldaten einquartiert, die sie oft mit Gefangenen ins Haus hineingehen sah.

Im Buch zeigt Tsakmaki eine Überschneidung von NS-Zwangsarbeit und Verbleiben in Deutschland anhand der Biografie von Alekos Stamatopoulos:  

Alekos Stamatopoulos wuchs in ärmlichen Verhältnissen in der griechischen Hafenstadt Volos auf. Er wurde von den Deutschen 1942 festgenommen und zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Er musste in München für eine Baufirma arbeiten, nach einer schweren Lungenentzündung in einer Pelzfirma. Nach der Bombardierung Münchens wurde er zum Bau von Kriegsfahrzeugen nach Graz gebracht. Nach dem Krieg ging er zunächst wieder nach München. Er plante nach Griechenland zurückzukehren und sollte in die Armee eingezogen werden, seine Mutter warnte ihn jedoch vor den Gefahren des Bürgerkriegs. Er blieb daher in Deutschland, fand Arbeit und heiratete eine deutsche Frau. Da er in Griechenland keine engen Familienmitglieder mehr hatte, sah er keinen Grund zurückzugehen. Erst nach dem Tod seiner Frau kehrte er Anfang der 2000er mit ca. 90 Jahren nach Griechenland zurück.