Die deutsche Besatzung als Erfahrungsraum

Ein grausamer Bestandteil der Besatzung waren die Massaker, die die Deutschen an der griechischen Zivilbevölkerung verübten. Bei diesen Verbrechen, die als Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von angeblichen oder tatsächlichen Widerstandsaktionen gerechtfertigt wurden, wurden 800 Dörfer bzw. Kleinstädte verwüstet und Tausende Menschen getötet. Häufig, aber nicht immer, waren Mitglieder lokaler Gruppen beteiligt, die mit der deutschen Besatzungsmacht kollaborierten.

Der Film „Der Balkon. Wehrmachtsverbrechen in Griechenland“ von Chrysantos Konstantinidis (2018) erzählt vom Massaker der Deutschen im Dorf Lyngiades. Im Oktober 1943 wurden dort 82 Bewohner*innen – vor allem Kinder, Frauen und Alte – ermordet. Im Film kommen sowohl Nachgeborene als auch Überlebende, meist in Form von Tonaufnahmen, die der Historiker Christoph Schminck-Gustavus sammelte, zu Wort.

„Der Balkon“ erforscht nicht nur die Geschichte des Massakers und die tiefen Wunden, die es in der Dorfgemeinschaft hinterließ. Der Film beleuchtet auch die fehlende Auseinandersetzung mit der Geschichte in Deutschland sowie die griechischen Forderungen nach Reparationen, die bisher von Deutschland abgelehnt wurden.

Der Film „Der Balkon“ ist in einer Kurzfassung auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) frei zugänglich zu sehen.

Darüber hinaus bietet die BpB umfangreiches Begleitmaterial zu dem Film.

Die Originalfassung des Films ist länger, aber nicht frei zugänglich zu sehen. Diese thematisiert auch die Arbeitsmigration in die Bundesrepublik Deutschland nach 1945. Die Erinnerung an das Massaker spielte in Lyngiades auch in diesem Kontext eine wichtige Rolle: Einige Überlebende bzw. ihre Nachkommen kamen als Arbeiter*innen nach Deutschland; andere lehnten dies ab bzw. entschieden sich aufgrund dessen, was die Deutschen ihnen und ihren Verwandten angetan hatten, dagegen. Mehrere Interviewte berichten, dass sie die schon die entsprechenden Papiere bereit hatten, diese aber zerrissen und letztlich nicht in die BRD gingen.

Des Weiteren kommt in der Originalfassung ein Überlebender zu Wort, der zeitweise in Deutschland lebte und arbeitete. An seinem Arbeitsplatz, einer Fabrik, habe er aber nicht erwähnt, dass er aus einem von den Deutschen zerstörten Dorf kommt und dass seine Eltern und sein Bruder bei dem Massaker ermordet wurden. Eine andere Person berichtet, dass sie in Griechenland in Fabrik eines deutschen Unternehmens arbeitete. Die Anwesenheit des Fabrikdirektors habe sie immer wieder an den von Deutschen begangenen Mord an ihren Geschwistern erinnert und für sie ein Unbehagen und Wut hervorrief. Es ist unklar, warum diese Szenen in der gekürzten Version nicht mehr zu sehen sind. 

Wie auch in anderen besetzten Gebieten setzte Nazi-Deutschland in Griechenland Methoden zur Anwerbung und Verpflichtung von Arbeitskräften ein, um die deutsche Wirtschaft und Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. In Bezug auf Griechenland ist dieses Thema zu großen Teilen unbeleuchtet. Zum einen wird das Thema Zwangsarbeit in der Auseinandersetzung mit der Besatzung oft übersehen. Zum anderen wird Griechenland in der Forschung zur NS-Zwangsarbeit selten erwähnt.

Tatsächlich wurde die NS-Zwangsarbeit in Griechenland erst spät in die faschistische NS-Politik implementiert und war – aus Besatzungsperspektive – vergleichsweise wenig erfolgreich. Zunächst fand über die knapp ersten zwei Jahre der Besatzung keine allgemeine Zwangsrekrutierung statt. Vielmehr setzte Deutschland für Arbeit im deutschen Reichsgebiet auf die Anwerbung von Arbeitskräften. Aufgrund der prekären Zustände in Griechenland, die die Menschen zur Meldung zwangen, lässt sich hier jedoch kaum von Freiwilligkeit sprechen. Tatsächlich konnte Deutschland auf diesem Wege vergleichsweise wenige Arbeiter*innen gewinnen. Auch in Griechenland selbst wurden Griech*innen in der deutschen Besatzungszone zur Arbeit für die deutsche Kriegswirtschaft herangezogen, so im Bergbau in Nordgriechenland oder im Straßenbau und in der Landwirtschaft auf Kreta. Nicht immer ist hier jedoch von Zwangsarbeit im engeren Sinne zu sprechen, sondern oft eher von einer Art Fronarbeit – die Grenzen zwischen Lohnarbeit, Verpflichtung und Zwang waren fließend. 

Eine Besonderheit stellte die Zwangsrekrutierung der Juden von Thessaloniki dar: Am 11. Juli 1942 mussten sich alle jüdischen Männer der Stadt auf dem Freiheitsplatz von Thessaloniki versammeln, wo sie unter Schikane und Prügel registriert und in Arbeitskommandos eingeteilt wurden. In den darauffolgenden Monaten mussten 3.500–4.000 Juden unter schwersten Bedingungen z.B. für die Bauindustrie arbeiten. Aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate sah sich die jüdische Gemeinde Thessalonikis im Dezember 1942 gezwungen, die Arbeiter für 2 Milliarden Drachmen freizukaufen. Auch der jüdische Friedhof musste übereignet werden. 

Im Januar 1943 wurde eine Verordnung über die allgemeine Arbeitspflicht der Bevölkerung im Alter von 16 bis 45 Jahren erlassen. Diese Verordnung verfehlte langfristig ihr Ziel, ausreichend Arbeitskräfte für die deutsche Kriegswirtschaft zu gewinnen. Grund dafür waren nicht zuletzt massive Proteste vonseiten der Zivilbevölkerung gegen die Mobilmachung.

Geschätzt wurden ca. 100.000 Menschen zur Arbeit auf dem besetzten griechischen Territorium verpflichtet. Sie mussten für deutsche Unternehmen, die Wehrmacht und die Organisation Todt (paramilitärisch organisierte Baubehörde) arbeiten. Bei Widerstand drohte ihnen die Deportation in Kriegsgefangenenlager. Darüber hinaus wurden ca. 10.000 nicht-jüdische Griech*innen ins deutsche Reichsgebiet verschleppt, wo sie u.a. in Konzentrationslagern unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten mussten.

Aufgrund des starken Widerstandes der Zivilbevölkerung gegen die Zwangsmaßnahmen musste die deutsche Besatzungsmacht Ausfälle und Verluste an Produktion und Arbeitskräften hinnehmen. Um den Arbeitskräftemangel auszugleichen, wurden abermals jüdische Männer aus Thessaloniki zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Deportationen der jüdischen Bevölkerung in die nationalsozialistischen Vernichtungslager bereits begonnen. Dem Holocaust in Griechenland fielen in Thessaloniki ca. 53.000 (96%) und in ganz Griechenland etwa 59.000 (83 %) griechische Jüdinnen*Juden zum Opfer.

Die Ausstellung „Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaust“ (05. September 2024–30. März 2025, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Berlin, sowie 30. März–30. Juli 2025, Ethnologisches Museum, Thessaloniki) handelt von der Verschleppung griechischer Juden nach Karya, die als Zwangsarbeiter die dortige Bahnverbindung ausbauen mussten.

Ein Großteil der Forschung ist einem Zufallsfund zu verdanken: Auf einem Münchner Flohmarkt erstand Andreas Assael, Sohn eines jüdischen Überlebenden aus Griechenland, ein Fotoalbum eines Ingenieurs der Organisation Todt. Die Bilder in diesem Album zeigen unter anderem die Baustelle in Karya und die dort eingesetzten jüdischen Zwangsarbeiter.

Durch das Ausstellungsprojekt werden die menschenverachtende Zwangsarbeitspolitik, die antisemitische Vernichtungspolitik sowie die grauenhaften Lebens- und Arbeitsbedingungen an Orten der Zwangsarbeit offenbar. Ein Überlebender beschrieb Karya als „die Hölle auf Erden“.

Hier geht es zur Website des Ausstellungsprojekts.

Hier gibt es einen Kurzfilm zum Projekt zu sehen.

Die Erinnerung an die deutsche Besatzung ist im griechischen kollektiven Gedächtnis sehr präsent, in der deutschen Öffentlichkeit allerdings kaum ein Thema. Das an der Freien Universität angesiedelte Projekt „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ (seit 2018) setzt an dieser Lücke an und macht verschiedene Aspekte der Besatzungszeit sichtbar. Im Rahmen des Projektes entstanden 93 Oral-History-Interviews mit griechischen Zeitzeug*innen der deutschen Besatzung. Darüber hinaus bietet das Online-Projekt eine Bildungsplattform mit Informationen zu verschiedenen Aspekten der Besatzung an.

Hier geht es zur Website des Projekts.

Für dieses Dossier ist das Archiv des Projekts besonders bedeutend, da es Videos mit Zeitzeugen enthält, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen. Somit gehören diese Interviews zu den wenigen Quellen, die die deutsche nationalsozialistische Besatzung in Griechenland einschließlich Zwangsarbeit und die spätere Arbeitsmigration nach West-Deutschland verbinden. Im Themenbereich „Stimmen“ dieses Webdossiers werden die Biografien dieser Männer vorgestellt und ihre Erfahrungen in Bezug auf die Wiederbegegnung mit Deutschen im postnazistischen West-Deutschland abgebildet.